Ist die Galvanik ein Handwerk oder industrielle Fertigung?

Ist eine Galvanik ein Handwerksbetrieb oder industrielle Fertigung? In der Außenbetrachtung ist die Antwort der Klassiker: Das kommt darauf an.

Was bedeutet Handwerk?

Wie immer liefert Wikipedia hier einen ersten Hinweis:

„Als Handwerk werden zahlreiche gewerbliche Tätigkeiten bezeichnet, die Produkte meist auf Bestellung fertigen oder Dienstleistungen auf Nachfrage erbringen.“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Handwerk)

Die Ausführung einer Tätigkeit erfolgt im direkten Auftrag und unter Definition bestimmten Rahmenbedingungen im Auftrag des Kunden. Es wird also kein Produkt angeboten. Es gibt keine Katalogware oder Normteile. Alles ist immer spezifisch auf die Anforderungen des Kunden gerichtet.

In Deutschland gibt es galvanische Betriebe mit einem einzigen Mitarbeiter. Es gibt aber auch solche mit über 1.000. Mit der Größe ändert sich sicherlich auch das Selbstverständnis der Galvanik selbst. Solche, die in hohem Maße gleichartige Beschichtungen oder sogar millionenfach die gleichen Artikel beschichten, gelangen über kurz oder lang organisatorisch sehr weit in den Bereich der industriellen Fertigung hinein. Es gibt aber einen weiteren wichtigen Faktor.

Einzel- oder Serienfertigung?

Ich habe mir vor einigen Wochen einmal Gedanken zum Thema Statistik in der Galvanotechnik gemacht. (Zum Podcast geht es hier. Einen Fachartikel zum CpK-Wert findet ihr hier)

Warum ist das so wichtig?

Die Galvanik ist immer eine Einzelfertigung. Der Grund hierfür ist recht einfach. Die Anzahl derjenigen Parameter, die einen – mehr oder weniger – direkten Einfluss auf das Beschichtungsergebnis haben, ist nahezu unüberschaubar. Insofern ist der Gesamtzustand der Fertigungslinie zum Zeitpunkt einer Folgefertigung niemals mit dem Zustand der Vorfertigung identisch. Darum wird auch jeder Galvaniseur seinen sog. Anlauf, also ein Muster aus der ersten Fertigung, intensiv prüfen.

Lieferant oder Dienstleister ?

Als Galvanik-Lieferant kommt hinzu, dass diese meist nur mit den Produkten des Kunden überhaupt arbeiten kann. Insofern steht sie zusätzlich zwischen der Rolle des Lieferanten und der des Dienstleisters. Ist die Beschichtung eine Lieferung oder ein Service? Insbesondere im Bereich der Jurisprudenz ist diese Frage wichtig. Wem gehört nach der Beschichtung was? Welchen Anteil hat die Wertschöpfung, welchen die Beschichtung? Bei der Verzinkung eines Stahlteils ist das relativ leicht. Aber was passiert bei der Spot-Vergoldung eines hochwertigen Stanzgitters?

Liebe Kunden,

Sie sind ein industrieller Fertiger von Serienteilen? Wunderbar und herzlichen Glückwunsch. Wir – Ihre Galvaniseure – sind es nicht. Es ist natürlich trotzdem toll, Sie als Kunden zu haben. Unser Ziel ist es, Sie zufriedenzustellen.

Es würde allen Beteiligten helfen, wenn Sie sich vorstellen, dass wir eine handwerklich geprägte Einzelfertigung betreiben. Wir verstehen uns immer auch als Dienstleister, die im Auftrag ihrer Kunden kleine Wunder vollbringen. Manchmal halten wir uns für Künstler. Niemals aber für Fließbandbetreiber.

Wir beherrschen unser Metier gut, aber – ehrlich gesagt – nicht zu 1.000 %. Bitte entschuldigen Sie schon jetzt, dass leider und trotz intensiver Begleitung des Prozesses immer wieder etwas schief gehen kann.

Auf eine gute Zusammenarbeit,
Ihre Galvaniken

Obiges Schreiben ist natürlich rein fiktiv und es wird vermutlich niemals ein Beschichter auf die Idee kommen, es an seine Kunden zu versenden. Ich bin aber überzeugt, dass der eine oder andere es sich bisweilen schon einmal gewünscht hätte.